Island Wintertraum
Der Hagelsturm trommelt wie verrückt auf unseren Renault-Traffic ein , welcher bereits deutlich hin und her wackelt.
Es ist kurz vor Sonnenaufgang und der Horizont ist schwarzblau. Mittelgrobe Graupelkörner jagen durch die Luft und ziehen in Streifen über den nassen Boden.
Keiner will so wirklich aussteigen, alle warten auf ein kurzes Windloch, welches nicht kommt.
Wenig später werden wir bei 100km/h Böen die gewaltigen Wellen über den Felsen von Reykanesviti im Westen Islands fotografieren. Wir werden innerhalb kürzester Zeit nass vom Regen und von der starken Gischt der Brandung sein. Wir werden auf dem flachen Felsplateau versuchen überhaupt stehen zu bleiben und mit völlig durchgefrorenen Fingern den Auslöser unserer von Wasser triefenden Kameras zu drücken.
Es wird uns egal sein, denn eine wunderschöne und abenteuerliche Reise wird dann zu Ende sein.
Island ist einfach anders. Island ist spektakulär. Immer wenn ich hier bin bestätigt sich das. Wenn man 2300 km in 10 Tagen fährt und mehrere Unterkünfte braucht um die riesigen Dimensionen der westlichen und südlichen Küste unter teils extremen Wetterbedingungen abzudecken, dann muss dieses Land einen in den Bann ziehen.
Wir starten in kleiner Gruppe mit gleich 2 erfahrenen Guides. Einerseits Philipp Jakesch mit dem ich schon Hornvik „bezwungen” habe und neu dazu Markus van Hauten, Islandkenner und ebenfalls prämierter Landschaftsfotograf.
Der Bruarfoss ist unser erster von zahlreichen Wasserfällen die wir in Szene setzen wollen. Sein auffälligstes Merkmal ist die tiefblaue Wasserfarbe, welche wohl mit geringem Sedimentanteil, klarem Gletscherursprung und Sauerstoffdurchmischung zu erklären ist.
Nach dem bekannten Gullfoss geht’s zum Öxarafoss. Gleich die erste Bewährungsprobe für Mensch und Material, denn starker Eiswind bläst uns bei gefühlten minus 10° Celsius entgegen (weshalb auch nahezu keine anderen Touristen vor Ort sind).
Abends dann gleich erster Nordlichtalarm und wirklich schöne, grüne Streifen über dem mystischen Aegissidufoss.
Wir arbeiten uns bei gutem Fotowetter langsam ostwärts, wobei als „hidden gem” der Nauthusagil ergründet wird. Dieser schmale Foss muss durch einen wasserführenden Canyon erwandert und teils sogar erklettert werden, weshalb wir, mit Gummistiefeln ausgerüstet, sämtliche Bergschuhträger hinter uns lassen um traumhaft schöne Bilder zu bekommen. Vollkommen nass sind wir danach trotzdem, als wir im Gischtschauer des Gljufabrui-Wasserfalls stehen. Wirklich alles wird hier in wenigen Sekunden komplett durchnässt, ein wildes Erlebnis.
Abends geht’s zum Kvernufoss, einem Wasserfall in mystischer Umgebung-irgendwie magisch und nicht unähnlich der Herr der Ringe-Umgebung. Wir stehen hinter dem Fall und schauen ins moosgrüne Land. Noch fehlt uns der extreme Wintereinbruch, mit ausreichend Schnee und Eis. Aber das Wetter wird sich drehen, alles wird dabei sein.
Schon am nächsten Tag liegt etwas Schnee, genau richtig um die Klassiker wie Dyrholaey, Reynisfjara und Vik zu besuchen. Wir haben einen tollen Fotostopp auf dem Weg nach Vik mit faszinierenden Schneestrukturen im Sand bei Ebbe.
Mich überrascht, wie wandelbar die mir schon bekannten Regionen sind. Am Kap ist alles tief winterlich, in Reynisfjara spülen Monsterwellen den halben (und 3 Tage später den ganzen) Strand einfach weg.
Abends sichten wir feines Nordlicht am Kap Dyrholaey bei zauberhafter Himmelsstimmung und Sternen- bis Schneewolken alles verwischen.
Wir erreichen Höfn im Südwesten um das Reich des enormen Vatnajökull (Europas größter Gletscher) in den nächsten Tagen näher zu Belichten.
Hierbei besuchen wir die riesige Fjallsarlon-Gletscherlagune bei Sonnenschein sowie das Vestrahorn zu unterschiedlichem Tageslicht. Meistens bei starkem Wind und entsprechender Sandstrahlung suchen wir nach Vordergründen um diesem beeindruckenden Berg künstlerisch gerecht zu werden
Als besonderer Glücksmoment zeigt sich eines nachts kräftiges Polarlicht über dem Vestrahorn. Mehr Wetterglück geht fast nicht.
Am berühmten Diamond Beach springen wir mit Weitwinkel zwischen den Wellen näher zum Wasser um coole Effekte zu erzeugen. Es liegt wegen Sturm und Riesenwellen so viel Eis aus der Jökulsarlon-Lagune am schwarzen Strand, dass gutes Fotografieren noch schwieriger wird. Gegen Abend werde ich unaufmerksam und es trifft mich eine schnelle Welle bis in Kniehöhe, weshalb mein linker Stiefel innen Eiswasser abbekommt. Glücklicherweise fahren wir inklusive nassem linken Fuß bald zur Unterkunft.
Auch am Eystrahorn haben wir Glück zum Sonnenaufgang. Weiches Winterlicht und starke Wellen (mit eisigem Wind) sorgen für eindrucksvolle Erlebnisse.
Kunstvoll geht es am faszinierenden Skutafoss bei Starkwind weiter. Nicht immer ist es hier einfach, ansprechend zu fotografieren. Selbst große Männer über 100 Kg werden einfach weggeblasen, im Bachlauf hängt man auf dem Stativ um nicht umzufallen.
Abends stehen wir am interessanten Fauskasandur und schauen von den Klippen in die Fluten. Hier gelingen tolle natürliche schwarzweiße Fotos mit weißen Wellen und schwarzem Sand.
Schon auf dem Rückweg in den Westen halten wir am gigantischen Lavafeld von Eldhraun, beeindruckendes Relikt des verheerenden Laki-Ausbruchs von 1784 und größtes Lavafeld der Erde. Ein Graupelschauer vertreibt uns.
In unserer vorletzten Unterkunft entspanne ich im Jaccuzi, während mir der frei liegende Kopf bei Eissturm nahezu abfriert.
Entlang der Südroute nach Keflavik zum Flughafenhotel sehen wir das riesige Ölfusadelta, fotografieren in Kleivarvatn bei Schneefall und erleben die dampfende Lava bei Grindavik.
Hier ist man am Puls des allgegenwärtigen Vulkanismus, dessen Auswirkungen man eindrucksvoll an Zerstörung und Wiederaufbau sieht.
Abends sitzen wir im Flughafenhotel und lassen alles Erlebte Revue passieren. Spontan entscheiden wir noch vor Sonnenaufgang und Abflug am Nachmittag eine Fotofahrt nach Reykanesviti zu machen.
Am letzten Morgen also steigen wir bereits schräg gegen den Wind gehend in den Bus. Auf der Fahrt am westlichen Rand Islands queren wir die mehrere Meter breite Spalte zwischen eurasischer und amerikanischer Kontinentalplatte.
Als wir bei Reykanesviti ankommen zeigt sich Island noch einmal von der wilden Seite.
Es ist kurz vor Sonnenaufgang und der Horizont ist schwarzblau. Mittelgrobe Graupelkörner jagen durch die Luft und ziehen in Streifen über den nassen Boden.
Wir drücken die Autotüren gegen den enormen Winddruck auf und werfen uns in den Sturm.